Red. Der Autor dieses Gastbeitrags, Marco Morosini, war als Forscher und Dozent an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich (ETH) tätig. Neuerdings taucht ein uralter Leitgedanke immer öfter in der europäischen Wissenschafts- und Politikszene auf: Suffizienz, Synonym von Genügsamkeit, Mässigung, Masshalten – oder, wie es in der Antike hiess: temperantia . « Ohne Suffizienz ist die Effizienzrevolution richtungslos » , warnt der Philosoph Wolfgang Sachs vom Wuppertal Institut . «Nichts ist gefährlicher, als sich mit maximaler Effizienz in die falsche Richtung zu bewegen. Effizienz » , so Sachs, « bedeutet, die Dinge richtig zu tun. Suffizienz bedeutet, die richtigen Dinge zu tun. » Lohnt es sich wirklich, das Ziel maximaler Effizienz zu verfolgen, um beispielsweise das Mineralwasser San Pellegrino aus den italienischen Alpen bis in die Restaurants von Sydney exportieren zu können? Eine Geschichte der Effizienz Die Geschichte der Menschheit ist eine Geschichte der Effizienz. Durch ihren Erfindungsgeist steigert die Menschheit seit Jahrtausenden die Menge an nützlichen Dingen, die sie aus einer einzigen Einheit natürlicher Ressourcen gewinnen kann. Genau diesem « Wettlauf um die Effizienz » ist es zu verdanken, dass der weltweite Ressourcenverbrauch der Menschheit exponentiell gestiegen ist. Die wachsende Effizienz schuf nämlich die Voraussetzung dafür, dass die Bevölkerung sowie die Lebensdauer und die Nutzung von Industriegütern zunahmen und Mittel und Wege entwickelt wurden, mehr und mehr Materialien aus der Natur zu entnehmen und sie schnell in Produkte, Abfälle und Emissionen umzuwandeln. Trotz dieser geschichtlichen Tatsachen wird als Strategie zur Reduzierung unseres Naturverbrauchs eine weitere Steigerung der Effizienz propagiert – ohne zu erkennen, dass genau dieser « Wettlauf um die Effizienz » uns die Macht gegeben hat, das ökologische Gleichgewicht der Erde zu gefährden und ein neues Zeitalter, das Anthropozän, einzuleiten. Effizienz-Rebound Als Beispiel sei hier der fulminante Anstieg des Transports von Personen und Gütern genannt. Dieser war möglich, weil immer leistungsfähigere Techniken zum Einsatz kamen und so die Transportkosten gesenkt und die Zahlen der transportierten Menschen und Waren stetig gesteigert werden konnten. Dieses Phänomen – also der Anstieg des Gesamtverbrauchs aufgrund der erhöhten Effizienz von Geräten und Systemen – wurde in der Wirtschaftswissenschaft umfassend untersucht und als Rebound-Effekt bezeichnet. Dennoch tut die Politik weiter so, als gebe es keine Rebound-Effekt e. Nach wie vor wird ein endloses exponentielles Wirtschaftswachstum angestrebt, ohne Rücksicht auf kontraproduktive Folgen. Das Leitbild der Suffizienz kommt in der Politik an Neben dem ambivalenten Leitgedanken der Effizienz taucht nun aber auch in Wissenschaft und Politik der Leitgedanke der Suffizienz auf, der verstanden werden kann als « gut leben innerhalb akzeptierter Grenzen » . Dieser Gedanke steht im Gegensatz zu der Intensität, mit der Marketing, Medien sowie die wirtschaftlichen und politischen Eliten zur stetigen Steigerung des Konsums auffordern. Tatsächlich war das Konzept der Suffizienz lange ein politisches Tabu, da es dem Imperativ des unendlichen, exponentiellen