Ideal eines friedlichen Europas: Humanist Erasmus. (1497/1498 –1543, Wikipedia)
Der hier abgedruckte Text ist ein Vortrag, den Kurt Steinmann im Rahmen von «Erasmus klingt – Festival Lab» 2024 in Basel gehalten hat.
Es gibt in den geschichtlichen Abläufen gelegentlich enge Zeitfenster, in denen sich kurz die Möglichkeit auftut, dass Wirklichkeit wird, was vorher und nachher undenkbar scheint. Die Griechen prägten dafür den Begriff kairos.
Einen winzigen Augenblick schien es, als könnte die endlose Kette der Kriege unterbrochen werden. Nach mehreren zwischenstaatlichen Abkommen hatten sich die verfeindeten dynastischen Parteien Europas darauf geeinigt, am 2. Februar 1517 in Cambrai einen internationalen Friedenskongress abzuhalten. Zu lange hatten sich Deutsche und Franzosen um das Erbe Karls des Kühnen und insbesondere um die Macht in Italien gestritten, zu weit hatte sich der Flächenbrand der Kriege mit der Beteiligung Englands, Spaniens und besonders des kriegsfreudigen Papstes Julius II. durch ganz Europa gefressen.
Aber die Hoffnung zerrann so schnell, wie sie gekommen war. Zuerst wurde das Gipfeltreffen der Fürsten auf den April verschoben, dann abgesagt. Die Geschichte nahm eine Wendung, die Erasmus 1523 beklagt hat:
«Nun haben sich die Dinge so entwickelt, dass man dem Frieden einen Grabstein setzen muss, da ja keine Hoffnung besteht, dass er wieder einmal obenaufschwingen wird.»
Erasmus, der zeitlebens an der Friedlosigkeit Europas litt, erhielt den Auftrag zur Abfassung der «Klage des Friedens», der «Querela pacis», von Jean le Sauvage, dem Kanzler des Burgunderherzogs Karl, des späteren Karl V. Sie sollte alle Pazifistischen Kräfte für den geplanten Friedenskongress mobilisieren.
Mit der Absage der Friedensverhandlungen war die Schrift, nimmt man den politischen Zweck, dem sie dienen sollte, zum Massstab, bei ihrem Erscheinen (im Dezember 1517 in Basel) bereits überholt. Aber weit über die aktuelle Politik hinaus wurde von den Zeitgenossen und erst recht von späteren Generationen deren zeitlose Gültigkeit erkannt: «Die Klage des Friedens» ist ein Kondensat der gesamten erasmischen Friedenskonzeption.