„Die Geografie als etwas Schicksalhaftes zu begreifen“ sei „der Denkfehler von Mackinder“, so die Politikwissenschaftlerin Ulrike Guérot in ihrem Vorwort zur gerade erschienenen Neuausgabe des geopolitischen Klassikers „The Geographical Pivot of History“ aus dem Jahr 1904. Ist die Kontrolle des Zentrums Eurasiens – insbesondere der Region, in der die Ukraine liegt – ein „Drehpunkt“ für Weltmacht, wie es der britische Geograph Mackinder, der später viele westliche Politiker inspirierte, argumentiert hatte? Multipolar veröffentlicht Auszüge aus Guérots Einführung in den Text. ULRIKE GUÉROT , 3. Dezember 2024, 0 Kommentare , PDF Geostrategie ist ganz sicher eine männliche Leidenschaft. Als Frau, die jahrelang auf transatlantischen, internationalen Konferenzen gesessen und diskutiert hat und Mitglied im Verein „Women in International Security“ gewesen ist, erlaube ich mir, das zu sagen. (…) Wenn man einmal Atem holt und sich die Kernelemente der Mackindertheorie plastisch vorstellt, diese Rede in diesem Raum imaginiert, Halford Mackinder, ernst blickend und mit kleinem Schnauzbart, der in seinem Manuskript blättert, sich vielleicht räuspert und gewichtig tut, angesichts einer aberwitzigen Theorie, die vorzutragen er sich anschickt, dann kann man sich eigentlich nur an den Kopf fassen. Jedenfalls als Frau. Auf den ganzen rund dreißig Seiten ist von Menschen, Städten, Dörfern, Leben, Karawanen, Mentalitäten, Identität, Kultur, Wirtschaften oder Agrikultur nicht die Rede. Es geht nur um Gebirgsketten, Flüsse, geografische Grenzen, Steppengebiete, Besiedelungsdichte, Mobilität und darum, welches Volk („ der Magyar“ oder „ der Bulgare“) gerade welche Landstriche durchreitet und besetzt. Die Geografie wird zum absoluten Prinzip erhoben. (...) Mackinders britischer Alptraum, nämlich dass das Ingenieur-Land Deutschland mit den rohstoffreichen Ländern Eurasiens eine fruchtbare Kooperation beginnen könnte, Europa sich also das Herzland erschließt, London bzw. sein verlängerter politischer Arm, Washington, dauerhaft von den Früchten dieser Kooperation ausgeschlossen bliebe und sich das globale Kräfteverhältnis dauerhaft zu Lasten der USA in Richtung Eurasien verschöbe, lag zu Beginn der letzten Dekade in der Luft. War das vielleicht der Grund, eine verstaubte britische Theorie, in den USA modernisiert und aufgefrischt von Brzeziński, endlich zur politischen Anwendung zu bringen, bevor es – von Washington aus gesehen – zu spät sein würde? (...) Landkarten als Einfallstore für Ideologien Die Geografie als etwas Schicksalhaftes zu begreifen, ist der große, ja katastrophale D